Sich einmischen !
Es gibt Kunstwerke, die sollen,
die "wollen" nur Kunstwerk sein.
Und es gibt Kunstwerke, die "wollen",
daß man - ihnen ausgesetzt, sich mit ihnen konfrontierend - sie wirklich
wahrnimmt und denkt und fühlt.(1)
Manche setzen mehr auf das Denken,
manche auf das Fühlen, manche auf die Einheit von beidem: waches,
bewußtes, sensibles Fühlen und ein Denken, das nicht kalt, nicht
"instrumentell" ist, das sich der bloß formalen Logik verweigert.(2)
Es gibt Kunstwerke, die "wollen"
sogar, daß man, an ihnen den Blick schulend, die Gedanken schärfend,
etwas in den Blick bekommt, auf das sie sich beziehen, mehr als auf alles
andere: unsere Welt, unsere gesellschaftlichen Verhältnisse heute.
Es war Brecht, der, als von Klimawandel,
Biodiversität, den umweltzerstörerischen Effekten des Kapitalismus
noch nicht die Rede war, weil man es kaum in den Blick bekam, ein Gespräch
über Bäume als "fast ein Verbrechen" ansah. Es galt anderes,
damals, in den Blick zu kriegen: den das Haupt erhebenden, seine Grimasse
zeigenden deutschen Faschismus.
Auch heute kann ein Kunstwerk "versuchen,
zu intervenieren": den Blick zu schärfen, anzuregen, zum Denken, über
unsere Zeit, unsere Welt. Es kann so intendiert sein von dem Menschen,
dessen Arbeit es hervorbrachte. Es kann so "gelesen" werden von denen,
die es betrachten. Und das, denke ich, ist sogar notwendig, wieder.
Was, Wie, Wozu
Harun Farocki kritisierte in einem
Gespräch (gesendet vom WDR 5, in: "Scala", am 3. Nov. 2009 (3)),
daß viele Zuschauer, die einen FiIm sehen, nur die Kompetenz haben,
im Anschluß daran wiederzugeben, "was gezeigt wird" - statt sich
darauf zu konzentrieren, "wie es gezeigt wird".
Gegen diese Analyse läßt
sich einiges einwenden, auch wenn sie auf den ersten Blick zu überzeugen
scheint.
Der entscheidende Enwand, der,
so denke ich, zu erheben ist, ist wohl der, daß Farocki hier das
"was" und das "wie", die doch eine Einheit bilden im Werk, auseinanderreißt,
daß er das eine gegen das andere ausspielt. Statt, wie vermeintlich
"viele Zuschauer" - und ich möchte hinzufügen, viele schlechte
Filmkritiker - das "Was" zu privilegieren, scheint Farocki das "Wie" zu
privilegieren". Das ist für einen vor allem ästhetisch motivierten
Filmmacher nicht ungewöhnlich, erstaunt aber im Fall von Farocki,
von dem ich bisher annahm, daß sein Engagement, was die Form betrifft,
von seinem gesellschaftlichen Engagement nicht zu trennen ist.
Im übrigen möchte ich
bestreiten, daß jene "vielen Zuschauer" und die ihnen zugerechneten
durchschnittlichen Filmkritiker tatsächlich sagen können, "was"
gezeigt wurde. Weil man das überhaupt nicht sagen kann, wenn man nicht
sieht, "wie" es gezeigt wurde. Da sich erst dadurch, in seiner Konkretheit,
seiner Materialität, seiner historischen Spezifik, das "Was" erschließt,
nämlich wahrnehmbar wird. Und so zum Gegenstand der Reflektion,
aber auch zum Auslöser von Empathie, von Gefühlen, nein, mehr
noch, zur Bedingung und zum tatsächlichen "Gegenstand" unseres Wahrnehmens
der im Konkretisierten verkörperlichten, materialisierten, versinnlichten
Gefühle und Gedanken eines Anderen (ob nun Film-Autor, Komponist,
Maler, Theaterregisseur, Choreograph, oder Schriftsteller) werden kann.
Eine Vorbedingung, übrigens, jeglicher intervenierenden, auf Veränderung
zielenden Praxis?
Was der durchschnittliche, ungeduldig,
allzu schnell zu erkennen meinende Zuschauer "wahrnimmt" und wiedergibt
- indem er eigentlich nicht wahrnimmt, nicht genau sieht - , das läuft
oft nicht auf mehr hinaus als auf das, was man gewöhnlich eine Synopse,
eine dürre "Zusammenfassung" oder "Inhaltsangabe" nennt, die sich
auf das vermeintlich Wichtige, einen von aller Konkretheit absehenden "Inhalt"
beschränkt und die zumeist nicht mehr ist als das Ergebnis jenes "Wiedererkennens",
das Sklovskij einem Automatismus zuschrieb, der das "Sehen" verweigert
und das schon vorher Gewußte, die Vor-Urteile im eigenen Kopf im
wesentlichen bestätigt.
Darum, weil das Sehen durch das
automatisierte Wiedererkennen, das flüchtige Hinblicken und den dadurch
ausgelösten Aha-Effekt (''das kenne ich schon; das kann ich so - oder
so - rubrizieren'') ersetzt, ja auf Grund einer fehlenden Schule
des Sehens verdrängt wird, mögen viele Zuschauer das "narrative"
Kino. Es offeriert eine schnell erkennbare, leicht wiederzugebende Erzählung,
eine "Narration". Aber jede "Narration" ist nur der dünne rote Faden,
geradlinig oder verschlungen, ja nach Typ der Narration, der bestenfalls
(oder schlimmstenfalls) ein Gerüst darstellt. Die tatsächlichen
Dinge, die wir sehen, passieren jenseits des "dünnen Gerüsts",
so wie die Wüste, die Atacama, die Sahara, der Llano Estacado "geschehen"
jenseits der Markierungen eines Wegs. Die Holzpflöcke, im Sand, im
Abstand von einigen Dutzend Metern, sind nicht die Weite der Wüste
noch der Reichtum ihrer Erscheinungen, ihrer Strukturen, ihrer sparsamen
Flora und Fauna.
Wenn Farocki, der mit Bitomski den
Film "Nicht löschbares Feuer" drehte, heute sagt: "ich will erst mal
rausfinden, welcher Code gilt", wenn er sich konzentrieren will - und möchte,
daß wir uns konzentrieren - auf das, "wie es gezeigt
wird", dann hat er in dem Moment recht, wo er sagt, daß das ein Weg
ist zu sehen, "was" gezeigt wird. Vor allem dann, wenn das Erkennen
des "Wie" uns nicht zu mit dem "Wie" Besessenen macht, die nur noch dieses
"Wie" im Kopf haben, die zu Experten des "Wie" werden, mit ihren formalen
Analysen, ihrem Fachdiskurs, ohne noch in den Blick zu bekommen, daß
das "Wie" das "Wie" eines filmischen Sprechens ist, das zwar nur "so",
in diesem "Wie" geschehen kann", das aber etwas sagt, auf etwas verweist,
einen rapport herstellt, vielleicht (immer) einen rapport idéologique,
auf jeden Fall einen rapport zur Wirklichkeit, zu den Verhältnissen,
die es verschweigt, naturalisiert, verklärt, beleuchtet, transparent
macht, als ewig oder als veränderbar erscheinen läßt und
so weiter. Husserl, hatte er nicht mindestens darin nicht Unrecht:
jede Aussage ist eine Aussage über etwas, ist intentional?
Wenn das "Wie" aber zur einzigen oder primären Intention werden soll,
dann verweigern wir die Aussage über Anderes. Und wenn das "Wie" des
Werks, das auch und gerade Anderes intendiert - "aber wie!?!" - reduziert
wird auf eine formale Analyse in der Auseinandersetzung, die der
Zuschauer, indem er sich auf das Werk einläßt, damit führt,
ist es dann nicht genau jener Formalismus der "Filmfritzen", von denen
Jean-Marie Straub, ein formal sehr bewußter Filmmacher, einmal sprach,
voller Ärger und vielleicht auch Trauer, oder Zorn, oder Widerstand,
weil dabei - in dieser formalistischen Besessenheit der Cinéasten
- etwas verschüttet wird: le raison d'etre, der tiefere Grund,
warum formal engagierte Filmmacher wie Danièle Huillet und Jean-Marie
Straub Filme machen. Und zwar so machen, wie sie sie machen.
Es reicht also nicht, Experte zu
werden: zu verstehen, "wie ein Warhol zu lesen ist", "wie ein Richter
zu lesen ist." Oder wie ein Film gemacht ist. Das genaue Hinsehen, das
Wahrnehmen des "Wie" wird zur Onanie, zum nutzlosen Akt, wenn es nicht
weitergeht zum Erkennen, "was wie gezeigt wird - und wozu".
~ Andreas Weiland
5. Nov. 2009
(1) Die Künstlerin Mindy Wisel
erinnert sich, daß ihre Mutter ihr sagte: "Male, was Du weißt;
male ehrlich. Wenn Du es nicht fühlst, fühlt es niemand." (Auf
der Suche nach dem Licht. Porträt der jüdischen Künstlerin
Mindy Weisel, in: WDR 5 "Neugier genügt" - Sendung vom
23.10.2009, 10:05 bis 12:00 U)
(2) Es war Mondrian, der vom damals
von vielen Linken, aber auch von Mystikern erhofften "neuen Menschen"
sagte: "Wenn er fühlt, denkt er - und wenn er denkt, fühlt er."
´Der ganze, ganzheitliche Mensch war erstrebt, der nicht mehr entfremdete,
in Entfremdung produzierenden Verhältnissen lebende. Der Mensch,
der nicht mehr "den Kopf" dem "Körper" gegenüberstellte, nicht
mehr eine Seele imaginierte, die etwas anderes war als die "Form" (qualitas),
das heißt, eine "Eigenschaft" des Körpers.
(3) Harun Farocki, zitiert in:
"Die Scala Glosse; Der Filmemacher Harun Farocki", WDR 5 - Skala - Aktuelles
aus der Kultur, 3. Nov. 2005. Alle Farocki-Zitate sind aus dieser Sendung
des WDR 5.
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