Gary Maahs 

  Political Correctness: Buhmann der Besserwisser?
  Von der Terminologie ghettoisierter Militanter zur
  Koexistenz und Synthese der vielfältigen Diskurse an
  den "Rändern" der Gesellschaft. 

  Es gibt die, die wissen, was gut für dich ist. Sie sitzen
  allemal im Zentrum der Gesellschaft, sind ihm mindestens
  nah - in Reichweite der ökonomischen Macht, der
  funktionierenden politischen Klasse, die die
  Verwertungsbedingungen, so gut sie kann, garantiert. Ihre
  Vorgesetzten sind Intendanten, sind Kultusminister, sind
  Leute in Konferenzen und Kommissionen, sind Rektoren
  von Universitäten, Fachhoch- und Fachschulen, Ober-,
  Mittel- und Hauptschulen. Sie sind Zeitungsbesitzer oder
  von ihnen handverlesene Chefredakteure. Sie sind
  Abteilungsleiter. 

  Die Leute, die wissen, was "gut für dich ist", mögen
  Zweifel haben. Sie mögen ihren Job nicht lieben. Aber sie
  wissen, daß es der einzige ist, den sie haben - momentan.
  Und also funktionieren sie, indem sie die Dominanz der
  hegemonialen Diskurse sichern - wenn es sein muß, mit
  Hilfe der Schere im eigenen Kopf. 
 

  Die Diskussion um 'political correctness'  in Deutschland
  aufzugreifen, heißt ein Stück USA nach Deutschland
  bringen, heißt, die kulturelle Dominanz der USA noch
  einmal bestätigen. 

  An und für sich könnte das Thema exotisch sein. An und
  für sich wundert es nicht, wenn DER SPIEGEL in seiner
  gewohnten Larmoyanz ihm ein paar Zeilen widmet;  einer
  Nachricht, die ihren Warencharakter nicht verhüllen kann.
  Oder war es DIE ZEIT, die dieses Thema zuerst
  zeilenschinderisch auswalzte - die Sehnsucht nach dem
  Traumland auf den Lippen, und doch zugleich mit dem
  richtigen Riecher, daß hier ein Instrument frei Haus geliefert
  wurde, um heimische Kämpfe zu führen? 

  Es paßt gut, in das Klima des "roll back", der konservativen
  Wende, des Post-89er Triumphalismus der Rechten, die
  vor lauter Jubel über den Zerfall eines maroden,
  zutodegerüsteten Etatismus mit verblichenem roten Etikett
  im benachbarten Osteuropa die Aporien ihrer eigenen
  Existenz, die Krise eines seine sozialen und ökologischen
  Grundlagen immer rasanter zerstörenden Weltsystems nicht
  wahrnehmen wollen. Noch können...? 

  Konservative Journalisten in den USA hatten das Thema an
  den Haaren herbeigezerrt - bis auf die Titelseiten großer
  Tageszeitungen, mindestens jedoch auf die Seite 4 oder 5.
  Political Correctness erwies sich bereits in dieser Debatte
  als ein Kampfbegriff - war hier weniger Programm von
  Minderheiten (die praktisch nicht zu Wort kamen), als
  Vorwurf, Behauptung. Und zwar Behauptung einer letztlich
  "perfiden Indoktrinationsstrategie". Einer "Strategie der
  Intoleranz und Einschüchterung", die man einem
  schablonenhaft entworfenen "Gegner" polemisch
  unterschob. 

  Es macht neugierig, wie man dergleichen hier applizieren
  wird; Cohn-Bendit, in Frankfurt gibt bereits eine
  Kostprobe, indem er dem SPD-Konkurrenten Dehm dessen
  "antikapitalistische" Sprüche vorwirft und ihm empfiehlt,
  doch "in Güstrow" für die PDS zu kandidieren... 

  Aber alles in allem  –  dank der verbreiteten Funkstille einer
  in die Defensive gedrängten, unorganisierten, zersplitterten
  Linken, mit einer gleichzeitig mannigfaltigen und lebendigen
  Tradition –  erscheint das aufgefahrene diskursive Geschütz
  hierzulande, anders als in den USA, noch vor allem eine
  präventive Funktion zu erfüllen. 
 

  Welche Rolle erfüllt die political correctness Debatte aber
  in den USA? 

  Wie ist sie im gesellschaftlichen Kontext der USA zu
  situieren? 

  Welchen diskursiven Stellenwert hat sie? 

*          *          * 

  Um die political correctness Debatte in den USA zu
  verstehen, muß man wissen, daß ihr eine andere Debatte
  vorgeschaltet war: die um die Verbindlichkeit des
  anglo-amerikanischen kulturellen Erbes für "alle"
  Amerikaner, sowie um die Zulässigkeit und den Stellenwert
  von Studien zur Geschichte und Kultur von ethnischen
  Minderheiten im Rahmen des öffentlichen Schul- und
  Hochschulsystems. Beide Debatten hängen eng miteinander
  zusammen; und es war die Attacke auf die ethnischen
  Studien und zugleich auf die wirklichen oder vermeintlichen
  Infragesteller der Vorherrschaft der englischen Sprache in
  den USA, welche die Medien aufgriffen und woran sich die
  Attacke auf die Verfechter einer gleichsam die Freiheit der
  Lehre und des Lernens bedrohenden 'political correctness'
  unmittelbar und durchaus nicht zufällig anschloß. 

  Der medienwirksame Gegenangriff sprach die Sprache der
  'Moderaten' und 'Konservativen', derer, die
  Althergebrachtes, ‘Bewährtes‘ verteidigen. 

  Im Namen einer als systeminhärent behaupteten Toleranz
  versuchte er, den Ansätzen einer die hegemonialen
  Gegebenheiten infragestellenden Kritik die
  Existenzberechtigung abzusprechen und damit ihre
  Liquidierung als geduldete Erscheinungen mit einer
  Nischenexistenz an Universitäten einzuleiten. 

  Die Debatte um die Vorherrschaft eines ‘weißen‘,
  ‘angelsächsischen‘, ‘protestantischen‘ kulturellen Erbes
  oder kurz, um die fortdauernde Dominanz der
  hegemoniellen Kultur in den USA, entzündete sich an den
  Rändern dieser Kultur: da, wo, in Nischen ihrer
  akademischen Institutionen, sich Sonderforschungsbereiche
  etablierten. Wo in diesen geduldeten Bereichen nicht nur
  angepaßte, auf Kompromisse mit der herrschenden Kultur
  (und Integration in dieselbe) setzende Lehrende und Lernende
  ihren erwartungsgemäßen Platz fanden, jene also, die – 
  ob nun gegen Bezahlung oder nicht – die Aufgabe
  wahrnehmen, "Minoritäten" kulturell zu repräsentieren und
  an die gesellschaftlichen Institutionen zu binden. Sondern 
  wo auch jene Stimmen sich dann und wann, hier und dort,
  zu artikulieren wußten, die den institutionell und ideologisch
  abgesteckten Rahmen zu sprengen drohen. 
 

  Für die vorherrschende Kultur ist das afrikanische Erbe
  (um ein wichtiges Beispiel zu nehmen), ist die Sicht von
  Sprechern der schwarzen Minderheit auf die Epoche der
  Verschleppung und Sklaverei, auf die  fehlgeleitete
  reconstruction und die steckengebliebene
  Bürgerrechtsbewegung eine geduldete Prise Salz auf dem
  weißen, anglo-amerikanischen apple pie. Und dieser apple
  pie –  mit oder ohne Salz –  hat für jeden verbindlich das
  Standardgericht zu sein  und von jedem geschluckt zu
  werden. Anders gesagt, wer die ‘weiße‘, hegemonielle
  Version der Geschichte – eine Fortentwicklung der 
  tradierten WASP-Version der ‘kaukasischen‘, bis nach
  Rom und Athen (wie schon bei den Kleinbürgern der
  Französischen Revolution) zurückführenden kulturellen
  Dominanz der self-proclaimed ‘elites‘  der USA –  nicht
  schlucken will, soll kein Anrecht haben auf seine eigene
  Prise Salz, sein "ethnisches" Gewürz, das der ganzen chose
  hinzuzufügen ihm doch eigentlich im Namen der
  verordneten, WASP-dominierten "Multikulturalität"
  zugestanden schien. 

  Für den schwarzen Amerikaner (oder jeden Anderen), der
  an einer Universität Kurse in African Studies belegt, heißt
  das: seine Wahlfächer und Zusatzkurse erweisen sich als
  das, was sie in den Augen der Herrschenden, ihrer
  Professoren-Schar und ihres Journalisten-Klüngels sind –
  das offerierte Zuckerbrot, neben der Peitsche, die die allein
  seligmachende, allein als gültig betrachtete Version von
  "universeller" KULTUR, BILDUNG, GESCHICHTE usw.
  einpeitscht. 

  Man verweigert denen die Anerkennung des Anrechts,
  ernsthaft diese vorherrschende Version herausfordern zu
  können, die darauf abzielen, nicht eine vorherrschende
  Version zu ergänzen, sondern eine Alternative zu bieten – 
  eine andere kulturelle Ausdrucksform und Sichtweise der
  ‘menschlichen Dinge‘. Will sagen, der spezifischen
  gesellschaftlichen Verhältnisse, die durch ihre
  Beschaffenheit zu eben jener Existenz –  und zum möglichen
  Zusammenprall – unterschiedlicher Diskurse und Sichtweisen
  beitragen. 

  Ihr Vorschlag, die Dinge anders zu sehen (etwa, wie
  Bernal, das ‘Europäische‘ des antiken griechischen Erbes
  infragezustellen, indem man die afrikanisch-ägyptische
  Herkunft dieser mediterranen Kultur aufzeigt, die im
  mittelalterlichen Europa wiederum auf dem Umweg über
  die arabische Kultur, über jüdische und arabische Vermittler
  zum tragen kam), erscheint den Sprechern der dominanten
  Kultur als Anmaßung, als fragwürdige Hypothese von
  Kulturwissenschaftlern und Historikern außerhalb des
  akademischen mainstream.  Die Kategorien, die Zug um
  Zug als Herausforderung, wenn nicht in Widerlegung
  gängiger Kategorien der vorherrschenden Diskurse
  entwickelt wurden, werden denunziert als kränkende, blind
  machende, alles schöpferische Potential abtötende: ganz so
  als ob die eingefahrenen Gleise des herrschenden
  Erziehungssystems diese Einschränkung und Kanalisierung
  und Vereinnahmung schöpferischen Potentials nicht, im
  Zuge der Applikation von Lob und Tadel, Kooptation und
  Ausschluß, ohnehin zuwege bringen. Kurz: man erkennt in
  ihnen in aller Regel nicht den Ausdruck eines Versuchs der
  Positionsbestimmung, der Abgrenzung und Neudefinition
  jenseits der Wege des mainstream und in Opposition dazu.
  Wenn man aber dies dennoch wider Erwarten derart
  begreift, so erkennt man es nicht an als alternative, mit
  gutem Grund herausfordernde diskursive Praxis,  sondern
  denunziert es: sieht darin nichts als die dogmatischen
  Ausdrucksformen einer angemaßten politischen
  ‘correctness‘ (d.i. Richtigkeit). 

  Gewiß, die Kolumnen der nationalen wie der
  Provinzpresse, das Radio und das Fernsehen, die sich
  nunmehr über angemaßte Kriterien ‘politischer Richtigkeit‘
  ereifern, wußten und sagten uns immer schon, zumeist
  ohne allen Anschein von Zögern und Selbstzweifeln, was
  politisch richtig sei. Worüber sie sich ereifern, das ist die
  Konkurrenz, die sie mit dem Beginn einer im Ansatz
  autonomen Debatte der Minderheiten über deren kulturelles
  Erbe (und die Geschichte ihrer soziokulturellen
  Beziehungen zur etablierten, hegemonialen Kultur)
  erhielten, oder zu erhalten vermeinen. Denn Tatsache ist ja
  bis jetzt, daß die Ansätze zu einer alternativen Sicht der
  Geschichte und einer autonomen Debatte seitens sich der
  soziokulturellen oder ideologischen Integration bewußt
  werdender (und damit zugleich ein Stück weit
  entziehender) Teile von ethnischen Minderheiten und
  sozial unterprivilegierten  bzw. besser gesagt:  ‘beraubten‘,
  also deprivierten Teilen der US- Bevölkerung bis jetzt
  noch ihre weitgehende Macht- und Sprachlosigkeit
  erweisen, insofern sie nämlich ausgesperrt bleiben aus den
  großen networks des Fernsehens und aus der Massenpresse
  wie auch den Publikationen der etablierten Eliten. Tatsache
  ist, daß sie ein marginales Dasein fristen in akademischen
  Ghettos. Was auch heißt, daß sie bislang nicht einmal zur 
  materiellen Gewalt in den realen großstädtischen Ghettos der
  Minderheiten werden, deren Bewohner (sofern sie sich 
  überhaupt als Zuschauer, Zuhörer oder gar Leser ‘einschalten‘) 
  noch immer überwiegend ihre Meinung aus
  der Boulevard-Presse oder dem Fernsehen beziehen, also
  jenen Medien, die ganz unzweifelhaft in der Hand des
  hegemoniellen Blocks sind. 

*          *          *

  In der Tat, eine gesellschaftskritische Theorie, die nichts
  Hypostasiertes, nichts ‘Ewiges‘ ist, sondern der lebendige
  Ausdruck der praktischen und zugleich gedanklichen
  Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit,
  braucht kein Glossar der erlaubten und unerlaubten
  Begriffe. Insofern ist jeder Versuch einer Sprachregelung,
  der abstrakt und aprioristisch  – jenseits des Kontextes konkret
  geführter Debatten und vollzogener Analysen –  ‘richtiges
  Bewußtsein‘ auszudrücken versucht, ein Ausdruck einer
  gedanklichen Unreife. Ausdruck oft genug auch einer
  ideologischen Verkrampfung und Verhärtung, die die real
  desperate und minoritäre Situation von kämpfenden, sich
  am Unrecht wundstoßenden Menschen spiegeln mag. 

  Wir kannten die Sprachregelungen des Kalten Krieges,
  angefangen von den Clichés der McCarthy Zeit und der
  Moralischen Aufrüstung, bis hin zum evil empire Gewäsch
  der Reagan-Regierung. Es ist vor allem der verbürgerlichten
  Frauenbewegung in den USA zu verdanken, daß die
  Sprachkritik in gewissen Kreisen in einem derartigen
  Ausmaß an die Stelle der Kritik der realen Verhältnisse trat,
  daß man sich nunmehr stärker dafür einsetzt, etwa den
  gängigen Begriff alderman (Ratsherr) durch den
  geschlechtsneutralen Begriff councilperson zu ersetzen als
  dafür, den realen Anteil von weiblichen Stadträten zu
  erhöhen, die blue und white collar Beschäftigte (also
  Lohnarbeit verrichtende Frauen) mit ihren je ganz spezifischen
  wie auch ihren übergreifenden, gemeinsamen Problemen 
  effektiv vertreten können. 

  Die gleichsam konfuzianistische Richtigstellung der Begriffe
  (etwas, worum sich in der abendländischen Geschichte
  schon Platon Gedanken machte), mag zwar ihren
  berechtigten Stellenwert haben, wo es darum geht, Normen
  oder eine Weltsicht der dominanten Soziokultur zu
  verteidigen –  oder zu widerlegen. Aber als von der im
  politischen Konflikt verortbaren diskursiven Analyse abgelöste 
  und zugleich aus der Analyse der realen soziokulturellen
  Verhältnisse herausgelöste bedeutet ‘Richtigstellung der
  Begriffe‘ nur eine formalistische Fingerübung, eine
  Fetischisierung der ‘Namen‘. 

  Anders gesagt, das Gefecht wird auf einen Nebenschauplatz
  verlagert: man beschränkt sich darauf, die Lexik der
  herrschenden Medien schematisch zu widerlegen, statt sich
  darüber zu unterhalten, wie die Monopolisierung – die
  bestehende, konzentrierte Presse- und Fernsehmacht –
  aufzubrechen ist: etwa, indem in den Fabriken, Büros und
  den Stadtteilen, in denen die Benachteiligten wohnen, diese
  Presse und dieses Fernsehen der Lächerlichkeit
  preisgegeben und ad absurdum geführt werden. Und indem
  zugleich alternative Medien, in Regie der Basis,
  herausgebracht werden  –  beginnend mit der Mund-zu-Mund
  ‘Propaganda‘, der Diskussion an der Straßenecke, der
  street university, den nicht länger inhaltsleeren, sondern
  realitätsbezogenen Graffiti, und dem Medium der schnellen,
  schnell übermalten, immer wieder aktuell auf spezifische
  Mißstände (und Forderungen nach ihrer Beseitigung)
  bezugnehmenden Wandmalerei. 

  Das neue Terrain besetzen in einem pragmatischen,
  zielgerichteten Sinne hieße, die eigene Debatte führen. Und
  zwar jenseits der kanalisierenden, das Wort entwendenden, 
  die Stimmen der Kritik überlagernden und ausblendenden
  Medien. Es hieße, den lohnabhängigen Menschen, den
  arbeitslosen Menschen, den Obdachlosen und den von
  Mietwucher und schlechten Wohnverhältnissen
  Betroffenen, den Jungen, die um eine sinnvolle, bezahlbare
  Ausbildung, um Perspektiven ihrer Applikation gebracht
  sind, den diskriminierten Minderheiten, den Alten, den
  Kranken, die an den Rand gedrängt sind, kurz, all jenen,
  die von der Macht, von gesellschaftlichen
  Aneignungschancen und hier nicht zuletzt von der
  Möglichkeit der Teilhabe an den großen (herrschenden) Medien
  ausgeschlossen sind, einen Raum für die eigene, autonome
  Debatte und damit auch für die erforderliche Reflexion 
  über die res publica, die öffentlichen Angelegenheiten zu sichern. 

  "Korrekte" Begriffe stehen nicht im leeren Raum, ihre
  Angemessenheit als Kategorien, die in einem Diskurs von
  klärender Bedeutung sind, resultiert aus der explikativen
  Leistung, die sie vollbringen. 

  Begriffsgeschichte, das fortschrittliche Erbe  –  diese spielen
  (wenigstens potentiell) eine Rolle: oft mehr noch als der
  Versuch von Avantgarden, aus dem Stand, ex nihilo, das
  ‘ganz Andere‘ zu erschaffen, auch wenn diese Sehnsucht
  nach dem ganz Anderen in manchen wach ist und ihre
  Berechtigung gerade auch als Triebfeder wirklich
  verändernden Denkens und Handelns hat. 

  In der Entwicklung oder Fortschreibung theoretischer
  Ansätze zu einer kritischen Erfassung der sozialen
  Wirklichkeit erweisen längst bekannte, einem
  (nicht-hegemoniellen) kulturellen Erbe geschuldete, oder
  aber neue, unvermeidlich (auf Grund veränderter
  Umstände, Konstellationen, Strukturen) an ihre Stelle
  tretende Begriffe ihre reflexive, analytische Kraft – oder
  nicht. Was unbedingt benötigt wird, ist eine theoretische
  Anstrengung, die den Entwicklungen der "fortgeschrittensten"
  kapitalistischen Gesellschaften (wie – in gewisser Hinsicht –
  der US-Gesellschaft) gerecht wird: die also die Beziehungen
  beleuchtet, wie sie heute existieren nicht nur in großen 
  Zügen zwischen Arbeit und Kapital, oder zwischen 
  den 0.1 Prozent und dem Rest. Sondern auch innerhalb des 
  hegemoniellen Blocks: zwischen den ökonomischen Eliten 
  und der politischen Klasse. Und innerhalb der 'Abhängig 
  Beschäftigten': zwischen den direkten Produzenten (inclusive 
  der in der Distribution sowie im Transportwesen Beschäftigten)
  und den von der Produktions- und Distributionssphäre getrennten 
  Schichten (zumal jenen, die mit Finanztransaktionen beschäftigt 
  sind). Ebenso notwendig ist eine Bestandsaufnahme der 
  Verlagerungen von Aktivitäten aus dem 'Zentrum' an die 'Peripherie' 
  des kapitalistischen Weltsystems  und der Auswirkungen dieser
  Verlagerungen, sowohl im Zentrum wie an der Peripherie,
  andererseits. Es kommt darauf an, die konkreten Widersprüche zu
  erfassen, auch in ihrer dynamischen Entwicklung, um daraus
  Schlußfolgerungen zu ziehen, die für eine emanzipatorische Praxis
  wegweisend sein können. 

  Was benötigt wird, ist ferner der umfassende Versuch der
  Erneuerung einer Theorie der Beziehungen zwischen Basis
  und Überbau, wie sie sich heute aktualisieren: Wie
  ‘spiegeln‘ sich die Veränderungen, welche die
  sozio-ökonomische und die klassenmäßige
  Zusammensetzung einer Gesellschaft betreffen, im Raum
  des Politischen:in den Institutionen und ihren Diskursen?
  Wie wirken sie sich auf die soziokulturellen Bewußtseins- 
  und Praxisformen einer abhängigen Bevölkerungsmehrheit aus – 
  nicht zuletzt auf Grund einer gewollten Medien-Politik des
  hegemoniellen Blocks? Was auch heißt, aufgrund 
  seiner (sei es fraglosen oder angeknacksten) Hegemonie. 
  Wobei wir eine sei es gegebene oder aber fehlende Homogenität
  der Medienstrategien nicht übersehen dürfen (da deren Wirksamkeit 
  beachtlich ist, obwohl sie immer auch Gegenfinalitäten zeitigen). 
  Welche Bedeutung hat das Faktum bzw. die Tendenz einer 
  zunehmden internen Differenzierung der Arbeiterklasse,  das 
  Faktum also, daß die Bevölkerungsmehrheit immer stärker
  sozialen und professionellen Differenzierungsprozessen
  ausgesetzt ist, und zugleich einer zunehmenden Fragmentierung 
  durch zielgruppenspezifisch lancierte "Moden" unterworfen ist,
  sich andererseits aber vielfach einer medialen Beeinflussung
  ausgesetzt sieht, die zum Teil recht erfolgreich auf
  punktuelle, kurzfristige politische Uniformierung oder
  Gleichrichtung setzt? Man denke hier an die Fähigkeit der
  Massenmedien, kurz vor Ausbruch des ersten, durch die
  US-Armee gegen Irak geführten Golfkriegs, und zwar
  sowohl  in den USA wie in diversen europäischen Ländern,
  vor allem  England, Frankreich und Deutschland, innerhalb
  von drei Monaten jeweils  zuvor festgestellte
  Ablehnungsquoten von um die 60-70 Prozent in plötzliche
  Zustimmungsquoten um die 60-70 Prozent zu einem Krieg zu
  verwandeln! Ein Goebbels hätte Beifall geklatscht.

  Analysiert werden müßten vor diesem Hintergrund auch
  Strategien der Bedürfnisweckung (oder des Konsumismus),
  der Zersplitterung von Information und der Ablenkung
  (distraction), der Manipulation durch suggestive, oft wiederholte 
  negative bzw. positive  Wertung, der Verschleierung durch
  partielles Weglassen von Fakten oder gänzliches Verschweigen 
  und Ausblenden von Sachverhalten bzw. Tatbeständen, wobei
  auf die Effekte und Gegeneffekte zu achten ist.

  Es sind diese Fragen, denen sich eine auf Verstehen und
  Verändern der vorgegebenen  – zugleich aber 
  Transformationsprozessen unterworfenen ! – Verhältnisse
  gerichtete theoretische Arbeit zu stellen hätte. 

  Eine solche Arbeit ist nicht gleichzusetzen mit
  scholastischer Bestimmung vorgeblich apriori als ‘gut‘ bzw.
  'böse' oder als ‘richtig‘ bzw. ‘falsch‘ zu wertender Begriffe.
  Die Begriffskritik (wie schon das Beispiel der Kritik des
  herrschenden Sprachgebrauchs zeigt, wenn diese sich der
  begrifflichen Vertauschung von 'Arbeitgeber' und
  'Arbeitnehmer' entgegenstellt) hat ihren Platz vor allem im
  Kontext der Theorie; zugleich aber im Kontext einer
  verändernden Praxis, die auch ihre Alltags-Begriffe hervorbringt
  oder entdeckt, diese verteidigt und offensiv nutzt. 

  Die Begriffskritik, besonders wo sie Fetisch bleibt, reicht
  nicht zu. Die bloße Revidierung des Sprachgebrauchs, der
  Ausschluß von Teilen der Lexik und die Durchsetzung
  einiger Neologismen, bringt nur die Illusion, jetzt könnte
  damit schon alles ‘richtiger‘ werden. Verändernde Theorie
  und Praxis, aufeinander bezogen, müssen vielmehr als
  mögliche Wirklichkeiten in den Blick kommen. Die
  Verhältnisse sind nicht die Abbilder  und Spiegelbilder von
  ‘Ideen‘, aber Begriffe können uns zu einer klareren Vorstellung
  der Verhältnisse verhelfen:  eine richtiger, das heißt zutreffender,
  die reale Struktur der Verhältnisse und zugleich die
  kategorialen Zusammenhänge beschreibende Theorie
  verhilft zur Erkenntnis der Ansatzpunkte einer auf
  Veränderung, Verbesserung, auf größere Rationalität und
  zugleich auf mehr kompensatorische Gerechtigkeit gerichteten
  gesellschaftlichen Praxis. 

  Die Ansatzpunkte dazu können nur in den Subjekten selbst
  liegen, die ihrer Situation bewußt werden, um, was immer
  unerträglich, unvernünftig, und ungerecht an ihr ist,
  vermittels gemeinsamer, reflektierter, verabredeter Praxis
  zu ändern. 

  Political correctness durchzusetzen, wäre ein schematischer
  Versuch der Kanalisierung der lebendigen Reflexion, Beginn
  einer neuen Orthodoxie  – vor allen, wenn die Korrektheit
  (Richtigheit) der Begriffe eine hypostasierte, eine
  verdinglichte, eine per Taschenspielertrick aus dem Ärmel
  gezogene correctness ist, statt angeeigneter Ausdruck
  eines Denkens, das zu begrifflich fixierbaren Einsichten
  kommt, die sich verallgemeinern lassen. Und dies, weil sie die
  Verhältnisse adäquat genug spiegeln und eben darum 
  (sofern kein partikuläres Interesse dem entgegensteht) 
  einsehbar sind: Mindestens von einer Mehrheit der von fast
  aller Teihabe an der politischen Macht und der
  gesellschaftlichen Verfügung über die Produktionsmittel
  Ausgeschlossenen! Mindestens, wenn diese weit genug zu
  sich selbst kommen, um nachdenken, um erkennen zu
  wollen.  Statt den Verführungen der Werbung (auch der
  Werbung für politische Botschaften und politische
  ‘Markenartikel‘, etwa für ‘Starpolitiker‘) auf den Leim 
  zu gehen...

*          *          *

  Es ist unübersehbar, daß die These der ein erhebliches
  Stück weit gegebenen Einsicht der direkten Produzenten in
  die Verhältnisse  –  gekoppelt mit der Feststellung ihrer
  Machtlosigkeit, Unorganisiertheit und den oft
  vorherrschenden Gefühlen der Ohnmacht –  eine These ist,
  die durch ebenso viele empirische Belege gestützt werden
  kann (besonders wenn man sich auf einigermaßen
  gebildete, dennoch stark unterprivilegierte, aber noch nicht
  in einer Spirale der mafiösen Gewalt und des Überlebens im
  kriminellen Milieu ‘gefangene‘ Angehörige ethnischer
  Minderheiten in den USA bezieht) wie die gegenteilige,
  durch Medienexperten wie Neil Postman popularisierte
  These von der nahezu allseitigen Manipuliertheit und
  Fremdbestimmtheit der Massen, die bei Postman vor allem 
  als Konsumenten (und zwar zuallererst als ständige
  Fensehkonsumenten) erscheinen und die noch dann, wenn
  sie über keine oder nur wenige finanziellen Ressourcen zur
  Teilhabe am gesellschaftlichen 'Konsumrausch' verfügen, als
  im ideologischen Gefängnis des 'Konsumismus' (einem
  Schlüsselelement der Ideologie des ‘American way of life‘)
  gefangen erscheinen. 

  Dieser letzteren Ideologie gegenüber wäre die Richtung, die
  ein Denken und Sprechen entlang der Richtschnur einer
  tatsächlichen oder vermeintlichen ‘political correctness‘ zu
  verbreiten sucht, zumindest der Versuch einer
  dagegenhaltenden, die im Zentrum der Gesellschaft
  verankerte vorherrschende Ideologie angreifenden ‘Ideologie‘. 
  Beispiele für solche 'Gegenideologien' lieferte der Feminismus,
  die 'Black-Power' Ideologie und die 'la raca' Ideologie. Ihnen
  ist gemeinsam, daß sie partikuläre Ideologien sind, die spezifische
  gesellschaftliche Übel attackieren, allerdings den Grundwiderspruch
  einer kapitalistischen Gesellschaft nicht ins Zentrum stellen, 
  sondern entweder hinnehmen, also ignorieren,  oder am Rande
  behandeln.

  Verankert – das wurde bereits deutlich – sind diese
  dagegenhaltenden Ansätze an den ‘Rändern‘ der
  Gesellschaft, bei den politischen, gesellschaftlichen,
  ethnischen Minderheiten:  das heißt, in toto, bei jener Mehrheit 
  der Gesellschaft, die der vorherrschende Diskurs marginalisiert.

  Es erscheint, angesichts der Vielfalt der Marginalisierten,
  fragwürdig, ob sie sich auf eine politische Korrektheit als
  Gegenentwurf zum vorherrschenden ‘American way of life‘
  einigen konnten, oder ob es nicht vielmehr ein Spektrum
  der Entwürfe an den Rändern gibt, die andere
  Lebensformen, andere Redeweisen zum Inhalt haben,
  reflexiv wie praktisch. 

*          *          *

  Je mehr Bevölkerungssegmente, Teile großer
  Agglomerationen, Regionen der USA sich im Ausmaß der
  Deprivation von soziokulturellen Leistungen und
  Infrastruktur-Angeboten (sowie im Ausmaß der Perspektiv-
  und Hoffnungslosigkeit) der Dritten Welt anzunähern
  beginnen, um so mehr finden sich hier Stimmen, die dieses
  Dritte-Welt-Bewußtsein artikulieren –  und die dafür
  entsprechend, von den Sprechern der dominanten
  Soziokultur, verdammt werden. 

  Dieser Prozeß der Tiers-Mondialisierung hat bereits mit
  dem Verfall der Innenstädte in den 60er Jahren eingesetzt
  (deren ‘Anderes‘ die Suburbanisierung – die Flucht vor
  allem der middle income brackets, also ganz besonders der
  ‘weißen‘ sogenannten Mittelklasse, in die Vorstädte war). 

  Die Dynamik des besagten Prozesses nahm zu mit der
  Verlagerung von Teilen der produktiven Basis der USA in
  lohnkostengünstige Teile der Welt. 

  Beide Prozesse –   Verfall und Ver-slum-mung der inner
  cities sowie Entstehung von industrial wastelands  –  waren
  begleitet von einer Zunahme des realen Rassismus in den
  USA: 

  (1.) Die ‘schwarze‘ Arbeiterschaft wurde systematisch aus
  den Fabriken verdrängt. Das setzte Ende der 60er Jahre und
  stärker in den 70er Jahren ein. Heute sieht man relativ wenige 
  schwarze Amerikaner unter den Montagearbeitern der
  ‘großen drei‘ Automobilkonzerne Detroits. 

  Die jahrzehntelang bestehende, erst in jüngster Zeit – auch als
  Folge von verstärkten Tendenzen des Sozialabbaus across
  the boardabgeschwächte und aufgeweichte Dominanz
  ‘weißer‘, kleinbürgerlicher, dem Klassenkompromiß
  zuneigender Gewerkschaftsführer im AFL-CIO 
  und weißer, sich als middle class verstehender, relativ
  konservativer Segmente der Arbeiterklasse in den USA hat 
  die Politik des divide and rule [divide et impera, teile und
  herrsche], wie sie der hegemonielle Block der USA
  verfolgte und noch immer verfolgt, offenkundig begünstigt.

  Man ist seitens der Gewerkschaftsführungen – wie auch
  seitens der konservativen und ‘liberalen‘ politischen Eliten
  –  einem rassistischen soziokulturellen Erbe in der ‘weißen‘
  Arbeiterschaft trotz aller gegenteiligen Beteuerungen nicht
  wirklich entschieden entgegengetreten, sondern hat es
  vielmehr immer wieder (in der Praxis, wenn auch nicht in
  den Verlautbarungen) hingenommen, ja, reaktiviert und
  bestärkt. Man hat den Ausschluß eines ethnischen
  Segments der Arbeiterklasse von den Industriearbeitsplätzen
  und seine Relegation in die industrielle Reservearmee
  hingenommen. Und dies zugunsten eines anderen, insofern
  relativ ‘privilegierten‘ Teils der Klasse, sodaß dieser Teil
  in weit höherem Maß arbeiten, also sich ausbeuten
  lassen konnte als eine große Anzahl männlicher schwarzer 
  Amerikaner.

  Man hat damit wieder einmal rassistischen Vorurteilen zu
  einem materiellen Fundament verholfen, und zwar
  Vorurteilen  eben der Art, daß diese ausgeschlossenen
  ‘schwarzen‘ Amerikaner  gleichsam von Natur aus ‘faul‘
  sind, ‘nicht arbeiten wollen‘, ‘auf unsere Kosten (von
  welfare) leben‘; das heißt, man hat die Spaltung vertieft. 

  (2.) Das ökonomische Fundament ‘schwarzen‘ sozialen
  Lebens (das in der Familie zentriert war, einer Familie, die
  bereits – anders als die ‘weiße‘ Familie –   während der Ära
  der Sklaverei stärksten Belastungen durch die
  vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse ausgesetzt
  war, denn schon damals war die Mutter-Kind Beziehung
  eine privilegierte, während sich die Beziehung zwischen
  Mann und Frau prekär gestaltete und oft nur auf Zeit
  zugelassen war) wurde besonders in den großen Städten
  durch die Verstoßung männlicher wage earners aus dem
  industriellen Arbeitsprozeß und die Etablierung eines hohen
  Sockels ‘schwarzer‘ Langzeit-Arbeitslosigkeit (infolge
  mangelnder Chancen auf Reintegration in den
  Arbeitsprozeß, in einer Ära sogenannten ‘strukturellen
  Wandels‘ des amerikanischen Kapitalismus) erschüttert,
  wenn nicht – in vielen Fällen – zerstört. Die schwarze
  Kleinfamilie löste sich unter diesen Bedingungen tendenziell
  auf. Sie mutierte zur Rumpf- oder Restfamilie verlassener,
  verheirateter sowie lediger Mütter mit Kind(ern), deren
  Armut – bei gegebener Abhängigkeit des Familieneinkommens
  von der fast immer  schlecht entlohnten Frauenarbeit
  und  bei teilweise starker und langfristiger Abhängigkeit
  von food stamps oder anderen Leistungen der Sozialhilfe – 
  auf Dauer festgeschrieben wurde. 

  (3.) Die den ökonomischen Ausschluß begleitende soziale
  Deprivation (Desintegration der Familien; Abrutschen in oft
  extreme Armut) ging einher mit Einsparungen bei der
  sozialen und bildungsbezogenen Infrastruktur der
  ‘schwarzen‘ (oder infolge der Stadtflucht der ‘weißen‘
  Arbeiter und Kleinbürger zunehmend ‘schwarz‘ werdenden
  Stadtviertel.

  Diese Tendenz begünstigte die Reproduktion von Armut,
  verstärkte das Gefühl des Ausgestoßen- und Vergessen-Seins
  inclusive eines starken Bewußtseins des Ausschlusses von dem
  weitgehend durch ‘Konsumismus‘ definierten American
  way of life.

  (4.) Die durch den ökonomischen Ausschluß begründete
  Armut und die soziale Desintegration verstärkte  –  im
  Einklang mit propagierten Konsum-, also (privaten,
  partikulären) Aneignungswünschen, und auf Grund der
  verweigerten Aneignungschancen  –  die Orientierung gerade
  auch von Heranwachsenden auf illegale Formen der
  Aneignung, und weg von den dazu querstehenden Perspektiven
  der Edukation und verufkliche Qualifikation, die doch nur
  wieder (oft selbst bei stärkstem Einsatz und großer
  ‘Begabung‘) in Arbeitslosigkeit oder bestenfalls in
  unterbezahlten, eine Familie nicht ernährenden, oft nicht
  einmal zur Aufbringung der Miete ausreichenden
  Dienstleistungsjobs zu münden schienen. 

  Diese Orientierung auf partikuläre Aneignungsstrategien des
  illegalen Typs trifft besonders auf männliche Jugendliche
  und auf junge Männer zu, da diese sich –  im Anschluß an
  geschlechtsspezifische Rollenclichés – stärker als ‘aktiv‘
  definieren oder definieren lassen, sodaß ihnen eskapistische
  Rollen und/oder die Rolle des abwartenden, resignierten
  Sozialhilfe-Empfängers weniger auf den Leib geschrieben
  sind. 

  (5.) Die Tatsache, daß sich die Grenze zwischen
  informellen Tätigkeiten (wie sie im ökonomischen ‘Kampf‘
  um den Lebensunterhalt der Marginalisierten unvermeidlich
  werden) und halblegalen oder illegalen, halbkriminellen und
  kriminellen Tätigkeiten als fließend erweist, gewinnt in dem
  gesellschaftlichen Milieu der verfallenden inner cities
  zunehmend an Bedeutung. 

  ‘Informelle‘ sind Kleinunternehmer, die keine Steuern
  zahlen. Aus einer bestimmten Perspektive sind auch kleine
  Drogenverteiler (drug pushers) ‘Kleinunternehmer‘: sie sind
  sub-contractors im kommerziellen Sektor, die eine
  verbotene Ware handeln (‘dealen‘) und keine Steuern
  zahlen, dafür aber (abgesehen vom ausgelösten Elend)
  ‘soziale Kosten‘ in beträchtlicher Höhe mitverursachen.

  Ähnliches gilt für Autodiebe; für Leute, die Autos
  aufbrechen, um daraus etwas zu entwenden (Autoradios
  u.ä.); Leute, die Wohnungseinbrüche begehen; die
  Handtaschen oder Brieftaschen rauben; usw. Sie alle haben
  sich –  allein oder als ‘gang‘ – selbständig gemacht; zumeist,
  ohne dabei aufzuhören, Menschen ‘in Abhängigkeit‘ zu
  sein: in Abhängigkeit von Drogensyndikaten, das heißt von
  ihren Lieferanten; in Abhängigkeit von Hehlern, also
  Geschäftsleuten, die ‘heiße Ware‘ abnehmen zu lächerlich
  geringen Preisen und damit z.B. einen bestimmten
  Kundensektor in bestimmten deklassierten Vierteln
  beliefern, der eine Nachfrage konstituiert, die dann
  fortlaufend in dieser Weise bedient sein will, sodaß dieses
  Element der Nachfrage auch zu einem Faktor des
  Fortdauerns der kleinkriminellen oder kriminellen
  Aktivitäten wird.  Das Fließende der Grenze – vom
  informellen Straßenhändler zum petty criminal zum
  criminal – begünstigt den Übergang von der legalen zur
  illegalen Aktivität der ‘underdogs‘. Der Ausschluß von
  Teilen der Arbeiterklasse aus dem Erwerbsleben bedeutet
  also negativ eine Relegation in die industrielle Reservearmee
  der passiv Wartenden, positiv eine Verstoßung in den Bezirk
  des aktiven ‘Rette sich, wer kann‘ (des Kleinst- und
  Kleinunternehmertums jeder Art). Und dies zumeist mit der
  entsprechend brüchig-widersprüchlichen Bewußtseinsform:
  der Form des Bewußtseins eines Menschen, der sich
  einerseits als Ausgeschlossener und Deprivierter weiß,
  andererseits nach allen Chancen der Aneignung, des
  Reichtums und Luxus greifen möchte, die diese
  Gesellschaft ‘dem Unternehmertum‘ anzubieten scheint
  (und einigen wirklich anbietet). 

  (6.)Während die integrierte, mehr oder weniger legal
  operierende (und darin der 'weißen'  entsprechende) ‘schwarze' 
  Bourgeoisie sich ganz überwiegend einen law and order
  Standpunkt zu eigen macht (den auch die Reste einer
  ‘schwarzen‘ Arbeiterklasse teilen können, solange sie
  erfolgreich in den Arbeitsprozeß integriert sind und ihres 
  tatsächlichen Zustands nicht bewußt werden), spaltete sich die            
  ausgeschlossene ‘schwarze‘ Ex-Arbeiterklasse,  abgesehen von
  den wenigen Militanten (mit mehr oder weniger entwickeltem
  politischen Bewußtsein) –  im wesentlichen in 
  - die ‘Mecky Messers‘, und 
  - die ‘Onkel Toms‘. 
  Also die, die "alles wollen", selbst wenn sie auf diesem
  aussichtslosen, einzel- und zugleich bandenkämpferischen
  Weg (einem im wesentlichen unorganisierten Weg, der über
  die Organisationsform der Straßengang und über ihre
  partikulären Ziele nicht hinauskommt) zugrundegehen.
  Und die, die auf alles verzichten, um es als pie in the sky
  sich in den schwarzen, kirchlichen Kongregationen doch
  noch versprechen zu lassen. 
  Sie spaltet sich in die im individualistischen
  Überlebenskampf (scheinbar oder wirklich) ‘Tüchtigen‘,
  und die ‘Lebensuntüchtigen‘. In die Jungen, die (auf ihre,
  borniert-partikularistische, also blinde Weise) ‘kämpfen",
  und die Alten, die resignieren. In Männer, die ‘kämpfen‘,
  und Frauen, die auf den welfare check oder die Geschenke
  ihrer street fighting boy friends warten. 

  Demgegenüber nimmt die verhältnismäßig kleine Zahl der
  reflektierten schwarzen Intellektuellen und Künstler (hier ist
  nicht die Rede von einer ganz  anderen, sehr spezifischen Form 
  des Intellektuellen: der des "intellektuellen Militanten" ohne viel
  formelle Bildung) eine Außenseiter-Rolle ein:  die Rolle eines
  Analysierenden, eines Beobachters, der nicht die Privilegien
  und Zwangsjacken des dienstbaren Intellektuellen, der sich
  dem hegemoniellen Block zuordnen läßt, anstrebt; der aber
  auch noch nicht zum organischen Intellektuellen einer (von
  keinen ethnischen Grenzen gespaltenen) Arbeiterklasse
  wird, weil deren ‘weißes‘ Segment ihn überwiegend
  ablehnt, da er ‘schwarz‘ und ein Intellektueller ist, während
  das ‘schwarze‘ Segment ihn überwiegend ablehnt, weil er
  weder Kämpfer noch Betender, sondern ein Intellektueller
  ist, der analysiert. 

  Die tendenzielle Einheit von gesellschaftlicher Praxis und
  theoretischem Bewußtsein deutet sich erst dort an, wo Teile
  der Kämpfer/Beter zu einem dritten finden: 
  –  in der politischen, den institutionellen Rahmen und die
  ideologischen Vorgaben des hegemoniellen Systems
  überschreitenden Praxis (etwa als coalition for the homeless; als
  rent control groups; oder im Kampf gegen Drogen im Viertel; 
  sind das Ansatzpunkte?); 
  - in der künstlerischen Praxis, die zugleich eine politische ist
  (der Kreation von politischen graffiti, murals, songs, usw.); 
  - in der intellektuellen Praxis, die den praktischen Bezug
  und den Kontakt zu den von Deprivation und
  Marginalisierung Betroffenen herstellt. 

  Erst wo die politische, künstlerisch-politische, und/oder
  organisatorisch-politische Praxis sich konkret –  im Viertel,
  in der Fabrik, in der Landarbeitergruppe usw. – verankert,
  kann eine Herausforderung der Bastionen der hegemoniellen
  Soziokultur real werden. Erst hier kann auch der passiv 
  beobachtende ‘schwarze‘ (ebenso wie der ‘hispanische‘, der 
  ‘asiatisch-amerikanische‘, der  ‘jüdische‘, der ‘arabische‘,
  der indigene und auch der  ‘weiße‘) Intellektuelle in den
  USA den erforderlichen Schritt tun: vom freischwebenden,
  allein der Theorie verpflichteten Intellektuellen zum
  Intellektuellen, der sein Intellektuellen-Sein überschreitet,
  indem er Theorie und Praxis miteinander verbindet. 

  Er kann dies bereits, wo er – ohne sektiererisch und
  dogmatisch zu sein – den ‘Verdammten dieser Erde‘ hilft,
  sich politisch zu artikulieren, sich zu organisieren, wo er
  also deren Willen zur Selbstätigkeit und Selbstorganisation
  bestärkt und reflektierend begleitet und ihnen theoretisch
  Hilfestellung gibt, also von den Tätigen lernt, tätig zu sein,
  und mit ihnen gemeinsam sich und andere lehrt, aus den
  Verhältnissen und dieser Tätigkeit und ihrem Wechselspiel
  Schlüsse zu ziehen, die es erlauben, Art und Weise der
  Tätigkeit ständig zu kritisieren und zu korrigieren. Und dies
  entsprechend den Notwendigkeiten und Möglichkeiten, die
  die politischen Kräfteverhältnisse und die Bedürfnisse der
  Basis vorzeichnen. 

  In der heute immer mehr ent-privilegierten ‘weißen‘
  Arbeiterklasse (auch bei Alten, sowie bei Arbeitslosen)
  ist oft das Gefühl vorhanden, daß die authorities – die, die
  ‘das Sagen haben‘ –  ihnen etwas vorenthalten, das sie
  ihnen nicht oder nicht in dem Ausmaß vorenthalten
  würden, wenn sie wüßten, wie die Dinge ‘vor Ort‘, in dem
  konkreten Fall wirklich liegen. 

  Oder es ist eine resignierte Bitterkeit da, angesichts einer
  anonymen, unbegreiflichen Situation, die ihnen keine
  Gerechtigkeit zuteil werden läßt (weil ‘jeder nur an sich
  denkt‘; weil ‘die da oben‘ crooks sind und nur ihren Vorteil
  im Kopf haben, ohne daß dies angeblich zu ändern wäre). 

  Die Abstufungen der Deprivierung machen Abstufungen
  des Ressentiments verständlich. 

  Besonders poor whites tendieren oft zu konservativen                    
  Positionen – entweder, weil ihnen sozialer Druck und ihr
  Selbstwertgefühl in ländlichen Gemeinden jede (selbst
  temporäre) Entgegennahme von Sozialhilfe versagen kann und
  sie so den Standpunkt ‘Wer gibt uns denn etwas?‘ einnehmen.
  Oder weil sie, im Kampf um begrenzte Ressourcen (interessiert
  zum Beispiel an Farm-Subventionen)  im welfare state und
  seinen Programmen oder den Resten dieser Programme
  eine Vergeudung knapper Ressourcen an 'falsche', bzw.
  ‘unberechtigte‘ Empfänger, nämlich vorgeblich
  ‘faule‘, ‘arbeitsscheue‘ Minderheiten sehen. Deshalb
  neigten sie, und neigen sie auch noch heute oft dazu, in noch
  ärmeren Angehörigen, vor allem, wenn es um ethnic minorities 
  geht, vor allem Konkurrenten zu sehen. 

  Die deprivierten ethnischen Minderheiten (vor allem die
  ‘schwarzen‘ Amerikaner) wissen sich nicht allein als
  Nachfahren jener, die Objekt einer barbarischen und oft
  mörderischen Praxis früherer ‘besitzender Schichten‘ (und
  zwar vor allem ‘weisser‘ Profiteure der Sklaverei) wurden;
  sie sehen sich nicht nur derzeit als Vergessene, links liegen
  Gelassene, Ausgegrenzte, sondern sie sind obendrein immer
  wieder konkreten Willkür- und Repressionsmaßnahmen
  (vor allem der Poliei) ausgesetzt. 

  - Die Mißhandlungen, die Rodney King durch eine Anzahl
  von Polizeibeamten in Los Angeles erfuhr, beleuchten diese
  Situation exemplarisch und schlaglichthaft. 

  - Die Tatsache, daß andererseits die Polizeipräsenz in
  schwarzen Vierteln nachts stark reduziert ist und das
  Terrain de facto rivalisierenden, sich gegenseitig tötenden
  Jugendgangs zeitweilig überlassen bleibt, deutet auf eine
  diskriminierende, die Ungleichbehandlung von
  Bevölkerungs-Segmenten unterstreichende politisch-
  administrative Linie hin, die sich in Zahlen niederschlägt: 
  die übergroße Mehrzahl aller eines gewaltsamen Todes
  Sterbenden in den USA ist ‘schwarz‘. 
  Der Ort der Gewalt ist das eigene Stadtviertel: ein Ort der
  Hoffnungslosigkeit und Deprivation. 
  Genau wie die Arbeitslosenquote bei ‘Schwarzen‘ weit
  höher als der nationale Durchschnitt liegt (in den letzten
  Jahren des 20. Jahrhunderts oft bei 30-35% und mehr, vs.
  8-10% im nationalen Durchschnitt),  ist auch die Zahl der
  ‘schwarzen‘ inmates der Gefängnisse und Zuchthäuser
  sowie der zum Tode Verurteilten und Hingerichteten weit
  höher als der Anteil der ‘schwarzen‘ Bevölkerung an der
  Gesamtbevölkerung der USA. Ein ‘schwarzer‘ Mörder hat
  eine weit höhere Chance als ein ‘weißer‘, zum Tode
  verurteilt zu werden – besonders, wenn das Opfer ‘weiß‘
  war. 

  Die Versuche, im Zuge genetischer Forschung ‘Schwarzen‘
  eine Disposition zu Gewalt und Verbrechen zuzuschreiben,
  sprechen für den Versuch, eine rassistische Politik der
  Repression und des Attentismus vis à vis zahlreicher
  ungelöster sozialer Probleme ‘wissenschaftlich‘ zu
  begründen, d.h. den rassistischen Diskurs weiterhin durch
  pseudo-wissenschaftliche Argumente zu zementieren. 

  Die ideologische Offensive der Herrschenden – im konkreten
  historischen Kontext des Ausschlusses von immer mehr
  Menschen von jeder Anteilhabe am enormen, und enorm
  ungleich verteilten gesamtgesellschaftlichen Reichtum bei
  fortdauernder politischer Ausschließung der Massen aus den
  Zentren der Macht – ist ein wesentlicher Hintergrund mancher
  Versuche, neue, anti-hegemonielle, diskursive Formen
  durchzusetzen. Es sind Formen, die in ihrer Lebendigkeit oder
  Dogmatik jeweils für sich kritisiert, nämlich durch die vom
  Ausschluß betroffenen oder von Marginalisierung und Exklusion   
  bedrohten Amerikaner beurteilt werden müssen. 
  Diejenigen, die heute political correctness frontal in den
  Medien attackieren, ohne die Vielfalt der Diskurse an den
  Rändern der Gesellschaft überhaupt in ihrem Reichtum
  wahrzunehmen, sind als Sachwalter des hegemoniellen
  Blocks kaum diejenigen, die zu der erforderlichen Kritik
  in der Lage sind. 
  
 

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