Für Demokratie, Menschenrechte und die Befreiung
der Frau?
Die NATO „Intervention“ in Afghanistan
Jonathan Blumenberg interviewt
Monica Mahsoud
JB: Die Poliktiker und in ihrem Gefolge, die Medien sagen,
man sei in Afghanistan, um die Lage dort zu stabilisieren. Stimmt das?
MM: Man will die Abhängigkeit vom Ausland, von den
USA, „stabilisieren“ und in zweiter Linie die Ausbeutungsverhältnisse
im Inneren. Beides ist zum Scheitern verurteilt. Aus einem zerbrochenen,
notdürftig zusammengeflickten Stuhl wird kein stabiles, bequemes Sofa.
JB: Des weiteren, heißt es, es geht um die Bekämpfung
des Terrorismus.
MM: Das Huhn, das man jetzt einfangen will, hat man selber
zuvor ausgebrütet. Wenn man die Leute auf der Straße fragt,
hört man: „Terrorismus ist schrecklich, denn es trifft immer die falschen.“
Das trifft für die Anschläge der Taliban zu. Und es trifft noch
mehr für die Luftangriffe der Amerikaner zu, für den Beschuß
der Dörfer aus großer Distanz mit Raketen, den Einsatz der Predator-Drohnen,
also ferngesteuerten Flugzeugen. Und die schrecklichen Hinrichtungen verdächtiger
Zivilisten durch Angehörige der Spezial-Einsatz-Kräfte, die Entführungen
in die Geheimgefängnisse, die Folter. Man weiß nicht, welche
obskuren Hinweise genügen können, um schon als „verdächtig“
zu gelten.
JB: Wer leistet eigentlich Widerstand gegen die ausländische
Intervention?
MM: Das ist in der Realität völlig undurchschaubar.
Für die Bush-Administration ist es klar: jeder, der nicht für
uns ist, ist gegen uns, ist ein Terrorist. Aber was heißt: für
die Amerikaner sein, für die Pläne, die die Bush-Administration
in Afghanistan verfolgt? Heißt es, den Erpressungen der Ölkonzerne
und von UNOCAL nachgeben, deren ehemaliger Repräsentant in Afghanistan,
Karzai, jetzt als Ministerpräsident von Amerikas Gnaden auftritt,
obwohl er weiß, dass er auf verlorenem Posten ist?
Damit können viele nicht einverstanden sein, mit
dieser Reduzierung der afghanischen Souveränität, der Verwandlung
des Landes in ein amerikanisches Protektorat, so wie man es ja auch im
Irak erlebt hat.
Die afghanische Bevölkerung, nahezu alle ihre politischen
Richtungen und alle sozialen Klassen haben sich in den letzten 200 Jahren
immer gegen eine Besetzung, gegen eine Annexion gewehrt.
Daher ja auch der Widerstand gegen die Sowjetunion, und
die Tatsache, dass die Linke damals, als sie die Russen ins Land ließ,
nahezu jeden Rückhalt verlor.
JB: Das heißt, vorher gab es eine Art „Rückhalt“
für diese Leute?
MM: Natürlich. Das Land war gespalten, war im Bürgerkrieg.
Auf der einen Seite die Landlosen, die Pächter, die städtischen
Armen – natürlich nicht alle und nicht alle in gleicher Intensität
und mit gleicher Überzeugung. Aber die Landfrage, die soziale Frage
war sehr spürbar, sehr drängend und das hatte diese Revolution
damals ausgelöst. Auch in Pakistan hatte es ja bewaffnete Bauernaufstände
gegeben, vor allem in den Grenzregionen zu Afghanistan, wo dieselben ethnischen
Gruppen wohnen wie jenseits der Grenze. Mag sein, dass da viel rüberschwappte.
Eine Rolle spielte vielleicht auch, dass damals die Lebensverhältnisse
für die „kleinen Leute“ in Usbekistan, in Turkestan, in Kirgistan
deutlich besser waren als bei uns. Nicht nur für die Russen, sondern
auch für die Mehrheit, also die muslimische Bevölkerung jenseits
der Grenze. Das hat man schon wahrgenommen, besonders die städtische
Intelligenz, die zum Teil fortschrittlich war und die den Gedanken der
Veränderung aufgriff und verbreitete. Entweder, indem sie auf das
Modell der westlichen Modernisierung setzten oder indem sie den Kontakt
mit den Armen suchten, indem sie zu Wortführern der sozialen Revolution
wurden, indem sie neue Ideen im Lande verbreiteten.
Es waren die Großgrundbesitzer, die sich dagegen
stellten – gegen die Landreform. Sie waren ja das Opfer, das Ziel der Veränderungen,
so wie sie das sehen mussten. Der konservative Klerus stand hinter ihnen;
die fürchteten die schon unter dem König mindestens in den bürgerlichen
städtischen Milieus kaum noch zu bremsende Säkularisierung, den
vermeintlichen Atheismus der Linken. Die wollten das bremsen. Auf diese
Karte haben dann die Amerikaner gesetzt und so den Bürgerkrieg in
eine geopolitische Auseinandersetzung verwandelt, zwischen Russland und
Amerika, mit allen Folgen einer unglaublichen Brutalisierung und schrankenlosen
Zerstörung.
JB: Die Taliban sind also diejenigen, die sich auf die
soziale Basis der Grundbesitzer stützen - die „Religiösen“ paktieren
mit den Besitzenden?
MM: Ich denke, das ist etwas vereinfacht ausgedrückt.
Der Begriff „Taliban“ als Markenzeichen verschleiert eher die Komplexität
der Lage, die Vielfalt des Widerstands, wenigstens von einem gewissen Punkt
an, so wie schon zu Zeiten der sowjetischen Intervention der Begriff Muhaddjedin
diese Vielfalt der Strömungen verschleierte. Aber im Prinzip ist es
gewiß richtig – als Beschreibung einer Tendenz, sozusagen: die amerikanischen
„Eliten“ setzten und setzen auf die Konservativen und „religiösen“
Kräfte: in Indonesien, in Pakistan, in der Türkei, in Saudi Arabien,
Oman, Jemen, und zuletzt auch im Irak und Afghanistan. Darum ist es auch
so verlogen, wenn sie von einem Kampf für Menschenrechte und für
die Befreiung der Frau sprechen.
(This interview was conducted on Sept. 23, 2009) |