Den Frieden bloß erträumen?
Von der Verantwortung für ein friedliches Miteinander Dichter, auch Romanciers, haben bisweilen ein besonders ausgeprägtes Bewußtsein davon, wie wichtig für das gute, destruktive Tendenzen zurückdrängende menschliche Zusammenleben "das Sprechen, Verstehen und Verstandenwerden" ist.(1) Sie können darin (ein Glücksfall, vielleicht?) auch jenes "Anheimelnde" sehen, daß wir "dem Mündlichen abgewannen" in Zeiten, in denen die gegenseitige Konkurrenz und das damit einhergehende Mißtrauen noch nicht so ausgeprägt waren.(2) An das Miteinandersprechen appellierte zuletzt, als sich
die Situation auf der koreanischen Halbinsel zuspitzte, auch Johan Galtung.(3)
Und
er erinnerte dabei an die Ostpolitik: jene Zeit der Entspannung,
die in die sogenannte "Wiedervereinigung" der beiden deutschen Staaten
sowie in die an Bedingungen geknüpfte Integration des Gebiets der
alten DDR in die NATO mündete.(4)
Westdeutschland, Ostdeutschland und Berlin, dessen Ostteil zur
Hauptstadt der DDR geworden war. Die nach der Niederlage Hitlerdeutschlands
durch die vier alliierten Regierungen beschlossene Teilung Deutschlands
wurde durch das "Zwei Plus Vier Abkommen" beendet. (Source of map:
Wikimedia; Wikipedia; type of license unclear)
In Russland dürften manche inzwischen die Frage aufwerfen,
inwiefern dieses entspannte Sprechen auf der Krim, im Kaukasus und in Moskau
und Washington, das 1989 und 1990 Vertrauen zu wecken schien zwischen damals
am Ruder befindlichen Männern in der Sowjetunion und in Westdeutschland,
aber auch in Amerika, ein aufrichtiges Sprechen war.(5)
Oder
doch eher Ausdruck einer abgefeimten, vermeintlich klugen, letztlich aber
bloß gerissenen Strategie des Zuckerbrots und der Peitsche. Und das
heißt, einer Doppelstrategie: einerseits, des unter Reagan begonnenen
Zu-Tode-Rüstens, das implizit die Drohung enthielt, den Anderen zu
vernichten; und andererseits, des versöhnlichen Worts:
Andeutung eines Willens zur Verständigung, ja Versöhnung, auch
der Bereitschaft zu einem neuen, intensivierten wirtschaftlichen Austausch,
ja, zu einer Annäherung der Systeme und vielleicht sogar einer Konvergenz
der humanen Werte.(6)
Eine Andeutung, die vielleicht vieles mit Bedacht offenließ. Und
die so fragt sich wohl mancher heute, vor allem in Rußland
vielleicht nicht so aufrichtig war wie sie klang. Wurde sie kalkuliert
eingesetzt, erreichte sie mindestens ihren Zweck: die Einheit, Verschmelzung
der beiden Nachfolgestaaten des kaum ein Dutzend Jahre währenden "Tausendjährigen
Reichs," das bekanntlich an seiner Aggressionspolitik und der Unfähigkeit
seiner das Leben nicht achtenden, extrem rechtslastigen "Eliten" zugrunde
ging, eine andere Politik zu verfolgen als die myopische von Hasardeuren.
Heute werden die Botschaften einer Gesprächs- und Verständigungsbereitschaft, die damals, zumeist in informellen Gesprächen, von westlicher Seite übermittelt wurden, gerne vergessen zumindest, was ihre Inhalte, die Versprechen, betrifft. Aber es ist dennoch ganz offensichtlich: jene, welche die Ostpolitik damals betrieben, haben Signale gesendet: solche der Annäherung, der wirtschaftlichen, doch auch kulturellen Kooperation. Das gilt für Brandt, für Bahr, und später auch Genscher und Kohl. War es indes nicht so gemeint wie zumindest in jener Zeit ein Gorbatschow, Schewardnardse und auch deren Berater es sahen (und sehen mußten, ja sollten), so war es wohl eines vor allem: das diplomatisch geschickte, hinterhältige, von schlechtem Willen geleitete Projekt, die andere Seite ihre ökonomische Schwäche und die sich daraus ergebenden innenpolitischen Probleme ausnutzend zur einseitigen Aufgabe von Positionen zu bewegen und letztlich in die Knie zu zwingen.(7) Solch Ausnutzung der Schwäche
des Anderen rächt sich oft, zeigt die Geschichte: denn diese Ausnutzung
der Schwäche erzeugt im Anderen Ohnmachtsgefühle, Ressentiments,
den Drang, das Erlittene im Nachhinein zu korrigieren.
Ressentiments erzeugte auch die Niederlage des alten imperialistischen deutschen Kaiserreichs, eingestanden im Jahr 1918.(10) Und mehr noch das als Diktat, wohl nicht ganz zu Unrecht, gesehene Vorgehen der Siegermächte in Versailles. Ressentiments sind, historisch betrachtet, eine äußerst "ungesunde" Sache; im deutschen, also europäischen Sonderfall hatten sie die Hitler-Diktatur, den Genozid und die militärische wie ökonomische Aggressionspolitik der Nazis zur Folge. Insofern ist zu fragen, wie die
Verletzung der Interessen des geschwächten Rußland ab 1990 durch
das auf unangefochtene Vorherrschaft bestehende Amerika und seine (in vieler
Hinsicht von ihm abhängigen) Verbündeten zu korrigieren wäre,
anstatt auf die alte, seit den 1990er Jahren erfolgte Ausnutzung der Schwäche
und
den alten Verrat an einer - zugegeben - nahezu gezwungenermaßen
sich einstellenden, weil den Umständen geschuldeten Gutgläubigkeit
nun, im Jahr 2014, weitere Akte der Hybris draufzusatteln. Und dies mit
einer Verlogenheit und Unverschämtheit, die nur als Chuzpe zu bezeichnen
ist. Und die würde sie von den
westlichen Medien als solche enthüllt
viel von ihrer propagandistischen Effektivität verlieren würde.(11)
Daß allerdings selbst die Presse, der Rundfunk und das Fernsehen in Deutschland, dessen Regierung doch vor knapp einem Vierteljahrhundert den Russen gutnachbarschaftliche Beziehungen und eine für beide Seiten nutzbringende Kooperation versprach, dem um den Frieden besorgten "common sense" der Bevölkerung zum Trotz sich ganz überwiegend den Scharfmachern in Übersee anschließt, welche in Russland bereits seit einigen Jahren ganz unverhohlen nur noch den "Gegner" sehen, das schockiert und fordert Kritik, Widerspruch, und eine friedliche Praxis des politischen Widerstands heraus. Denn notwendig ist in Europa eine Politik, die sich dem langfristig friedlichen Miteinander aller Länder des alten Kontinents verpflichtet weiß, statt kurzfristige Gesichtspunkte diplomatischer Opportunität (bezüglich des Verhältnisses zu den USA, zur Obama Administration, und zu deren Interpretation der Aufgaben sowie Ziele der NATO) zur Maxime des Regierungs-Handelns zu machen. Vielleicht ist hier auch an frühere Standpunkte der westdeutschen Grünen zu erinnern, die einmal die Vision eines friedlichen, geeinten Europas vom Atlantik bis zum Ural propagierten. Rußland ist so wenig eine außereuropäische Macht, oder "orientalische Despotie" wie die Türkei, und die Einheit eines demokratisierten, in seinen Grenzen offenen Europas als Gegenentwurf zur "Festung Europa" ist weder ein Hirngespinst noch unerreichbar. Man muß nur wollen, wovon man träumt.(12) - Olaf Kohl
P.S.: Bezüglich einer möglichen Lösung der Ukraine-Krise empfehle ich den Aufsatz "Ukraine-Crimea The Solution Is a Federation with High Autonomy", von Johan Galtung. http://www.ipsnews.net/2014/04/ukraine-crimea-solution-federation-high-autonomy/ Doch man sollte nicht vergessen,
daß etwas Schwerwiegendes als Kontext und Hintergrund der Ukraine-Krise
zu entziffern ist: die Nicht-Auflösung der NATO, zugleich mit der
Auflösung des Warschauer Paktes, ferner das in neuen Formen (einer
sogenannten "Modernisierung") anhaltende Wettrüsten, die nicht erfolgte
Einlösung des der Weltgemeinschaft gegebenen Versprechens, nukleare
Waffen schnellstens abzuschaffen, und die NATO-Osterweiterung, welche in
potenzierter Form für Russland das Bedrohungsrisiko schafft, das seinerzeit
sowjetische Mittelstrecken-Raketen auf Cuba für Teile der USA gebildet
hätten. Dieses Problem wird m.E. auch von Herrn Galtung - wenigstens
in dem genannten Aufsatz - nicht hinreichend beleuchtet, obwohl doch die
Auslösung der Krise, zumindest zum Teil, mit dem Bemühen der
NATO (und der EU), die Ukraine als Mitgliedstaat aufzunehmen, eng zusammenhängt.
Beide Institutionen errichten "Mauern" an der Ostgrenze, statt sie einzureißen,
sodaß diese Ostgrenze dadurch notgedrungen wieder Blockgrenze wird
und zwar eines Westblocks gegenüber einem nicht mehr existenten
Ostblock. Statt des Ostblocks wird Russland zum neuen Cold War Gegner stilisiert.
Braucht die NATO den Gegner, um das Fortbestehen zu rechtfertigen? Brauchen
die Rüstungskonzerne in den USA, in der EU, und in der Schweiz die
ständigen Krisen? Es könnte ein gefährlicheres Spiel sein
als eine möglicherweise doch allzu mediokre Politikerkaste sich einzugestehen
bereit ist.
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