J. Weidenfels 

„AF URSIN“.  EIN PROJEKT DES KOMPONISTEN UND  „SOUND ARTIST“   TIMO  VAN  LUIJK (BELGIUM).
PERFORMANCE IM H8X12 SPACE FOR CONTEMPORARY ART

TIMO VAN LUIJK ist ein belgischer Komponist, Musiker und Klangkünstler (mit, nebenbei gesagt,  zum Teil  finnischen Wurzeln), dessen Stärke als experimenteller „sound artist“ sowohl in seiner Fähigkeit zu sensibler Improvisation,  zur Herstellung überraschender Bezüge in seinen Stücken, zum nicht nur bewussten Eingehen auf die den diversen musikalischen Parametern einbeschriebenen Möglichkeiten besteht. 
Wobei für ihn, wie mir scheint, die Erforschung und Manipulation der Klangfarbe der von ihm innovativ genutzten musikalischen Gegenstände – es handelt sich dabei um ganz unerwartete Objekte, die reichen von einer alten Nähmaschine bis zu bei einem chinesischen Trödler erworbenen, auf ein altes Banjo montierten Messingkugeln – vielleicht die größte Rolle zu spielen scheint, neben dem durchaus gelingenden Versuch, in dem Publikum ein neues Hinhören zu erzeugen: ein Hören, dem die  „Reise“, das sehr subtile Metamorphosen mit sich bringende „traveling“ der Töne / sounds / “noise“-Fetzen durch den von ihm klanglich durchdrungenen Raum nicht entgeht.

Einer kurzen Skizze seines Ansatzes als Musiker und Komponist (denn, wie ich schon sagte, er ist beides) hat Timo van Luijk das Motto vorangestellt:

“Love for sound, love for nature”
“The nature of sound, the sound of nature” 

Liebe zum Klang, Liebe zur Natur.
Die Natur des Klangs. Der Klang der Natur.
So möchte ich dieses Motto übersetzen.
Während die erste Zeile desselben beim privaten Bekenntnis verbleibt, wird die zweite programmatisch.
In der Tat, es handelt sich für ihn um die spielerische, emotiv-intuitive Erkundung, ja Erforschung, der „Natur des Klangs“. Um eine radikale Hinwendung zu der Erforschung und Entdeckung der Schönheit (noch im vermeintlich Alltäglichsten) ALLER Klänge. Eine Haltung, die er mit anderen Klangkünstlern teilt. Wo aber vom „sound of nature“, vom Klang der Natur die Rede ist, geht es nicht um naive oder sogar romantische Verklärung. Es geht, ganz deutlich, um das Experiment, die meist intuitiv vorangetriebene Erprobung dessen, was als Reichtum hervorlockbarer Klänge in den realen Dingen, auch den vermeintlich für alle Musikerzeugung unbrauchbarsten, steckt. 

In einer kürzlichen – bei allem bewussten Aufbau einer Anzahl der Klangerzeugung dienender Gegenstände – primär doch eher auf spontaner Improvisation beruhenden  Performance Timo van Luijks  im H8X12 Space for Contemporary Art (Anfang September 2010)  fiel mir auf, daß  klanglich eine doppelte Affinität bestand. Ich spürte sie teils  in den innerhalb eines gewissen Zeitabschnitts akustisch sich überlagernden Klangfolgen;  teils ebenso deutlich in den entwickelten Bezügen der auf einander folgenden Passagen des Stücks. Und die erste auf eine Affinität hinweisende Assoziation ließ mich den Namen „Earle Brown“ aussprechen, die zweite, sich gleichzeitig einstellende: „klassische chinesische Musik“. Es ist bekannt, daß im vormodernen China stärker, viel stärker als in der klassischen Musik Europas (in der andere, in der chinesischen weniger innovativ ausgeprägte Parameter entscheidend sind) das Timbre der Instrumente (gu zheng, pipa, usw.) und das heißt, das variations-, ja kontrastreiche Spiel damit,  mehr aber vielleicht noch die Ausdifferenzierung der diesem Timbre der Instrumente innewohnenden Qualität(en),  eine dominante Rolle spielt. Ebenso übrigens die Stille: so, wie ja auch ganz ähnlich in klassischer chinesischer Tuschmalerei –  neben der   zur Darstellung der Gegenstände (d.h. der Landschaft, mit oder ohne Menschen; der  Blumen; des  Bambus; der Vögel; der Architektur usw.) benutzten, mehr oder weniger intensiv aufgetragenen  schwarzen Tusche –  das   Weiß  des Bildträgers, also die  Leere  (und damit ein visuelles Pendant der Stille) von Bedeutung ist.

Auch für Timo van Luijk ist das erprobende Ausdifferenzieren der den einfachen Dingen innewohnenden Klangfarben von elementarer Bedeutung. Auch für ihn – das sehr bewusste, aber zugleich auch intuitive Hören auf die Veränderungen, die sich in der Klangfarbe seiner Instrumente und ihrem Wechselspiel, ihrer Überlagerung überraschend einstellen. Auch für ihn zählt Schönheit, nicht eine Ästhetik des Hässlichen – aber sein Begriff von Schönheit ist weitgefasst, innovativ, radikal. Auch in seinen Stücken zählt der Wechsel von Etwas und Nichts, von Klangspektren, von entfalteten, sich unerwartet fortsetzenden, bisweilen auch sehr kontrastiven Klangfolgen, und Stille. 

Es ist die Stille, die in ihrer Präsenz als ästhetische Realität entdeckt wird; auch, wiederum, die Stille, die strukturiert,  zur Strukturbildung mindestens beiträgt. Schließlich jene Stille, die dem Nachklang Raum geben kann. Und die Entwicklung des sound- (oder noise-) Materials, die ihr, der Stille, vorausgeht oder folgt, ist einerseits der Erprobung jener natürlichen, von Timo als brauchbar, als spielbar entdeckten Gegenstände (und der ihnen innewohnenden Klangqualitäten) geschuldet, von denen oben die Rede war. Es wechseln also „natürliche“, sehr „real“ wirkende, dem Holz, dem Messing, den metallenen „Klöppeln“ (die auf die eine oder andere der auf das Banjo montierten  Messingkugeln in a random way, nach einem Zufallsprinzip auftreffen), entlockte Klangpatterns mit der Stille. Die Volumen der Objekte, ebenso wie ihr Material, ihre Plazierung, die Art des Zusammentreffens – all das sind Faktoren, die die Klangqualität beeinflussen. Nichts davon ist gleichsam virtuell, synthetisch in einem gewissen Sinn dieses Wortes, nichts „künstlich“ oder steril, nichts „clean“, nichts elektronisch erzeugt.

Andererseits stellt sich aber zugleich – neben der entfernten Assoziation, der vagen Erinnerung an chinesische klassische Musik – dennoch jenes Gespür einer Nähe zu elektronischer Musik ein. Und mir scheint,  daß es sich gewissen Verfremdungen des  den explorierten „natürlichen Gegenständen“ zu verdankenden Sound-Materials verdankt. Etwa durch Rückkopplung, durch Aufnahme soeben produzierter Klangfolgen und ihr verzögertes Abspielen, durch „Umkehr“ aufgenommener, gerade noch von uns gehörter Passagen. Und auch als Resultat einer dank Einsatzes gewisser Geräte zustande kommenden Überlagerung jenes eben jetzt, in diesen Momenten, in Echtzeit gehörten, improvisierten Spiels.

Gewiß sagt der Komponist und Musiker das, wovon ich hier zu reden versuche, weit verständlicher mit seinen eigenen Worten.

Sein Solo Musik Project “Af Ursin” – auf das allein ich mich hier  bezog – arbeite, schreibt er, mit „weggeworfenen akustischen Instrumenten, diversen Klangobjekten und Tonband.“ Ist es das, was ich während der Performance im Space for Contemporary Art beobachtete? Ich denke, ja.
Die Musik, sagt Timo, „basiert auf strukturierten Improvisationen, die „free form arrangements“ (freie oder frei geformte Klang-Abfolgen, Arrangements oder Ordnungen) entstehen lassen.“ Und, ganz entscheidend: „der intutive und emotive Aspekt bilden den Kern des musikalischen Ansatzes“, der hier zum Tragen kommt, der erprobt und immer wieder variiert, mit dem experimentiert wird.

Ich denke, ohne die selbständige (sogenannte autodidaktische) Annäherung an moderne experimentelle Musik im Sinne von  „Sound Art“  hätten wir sie kaum vorgefunden in der Musik Timo van Luijks: diese überraschende Freiheit des Spiels, des Erkundens formaler Möglichkeiten, der Erforschung des den Dingen innewohnenden Klangs, des Einsatzes diverser, sehr unterschiedlicher „Instrumente“ – vom Tonband (das auch andere Experimentatoren früh einsetzten) bis, entscheidender vielleicht, zu jenen Objekten wie der ausrangierten Nähmaschine, in die „dies und das“ eingebaut ist. Unter anderem offenbar auch der Bogen eines Saiteninstruments, über das des Spielers Hand kratzen, streichen, gleiten kann –  während Rad und Tretvorrichtung des sonst zum Nähen benutzten Geräts zur Bewegung jenes kreisenden indonesischen Miniaturschattentheaters in einer Ecke der nach der finnischen Großmutter „Af Ursin“ genannten Maschine benutzt werden. Jenes sich drehenden, in der Dunkelheit die Augen magisch anziehenden Zauberdings also,  das hinter seiner von innen beleuchteten Haut den Schatten einer Ratte auftauchen läßt, gefolgt von einer zweiten, dann dritten Figur und so weiter, während an dem kreisrunden Boden desselben die  „Klöppel“ hängen –  sie, die immer wieder zufällig auf die alten Messingkugeln auf dem ausgemusterten, ebenfalls als Klangkörper dienenden Banjo treffen.

Was ich so beobachtet habe, fasst der „Sound Artist“ weit kürzer, präziser zusammen, 
wenn er sagt, das „live setting“ der gegenwärtigen AF URSIN performance bestehe aus der „angewandten Mechanik einer alten Nähmaschine und motorisierter Percussion, kombiniert mit einer Anzahl akustischer Instrumente / Klang[erzeugender]Objekte / und „Tonband-Manipulationen“.  Ja, in der Tat: Percussion –  das meint die Klöppel; meint das Schattentheater, an denen sie hängen; das Banjo; die mechanische Übertragung von Bewegung durch das Tretrad der Maschine; schließlich den sensiblen, mit den Ohren, auch dem inneren Ohr eng verbundene Rhythmus der Beine des das Tretrad bewegenden Spielers.  Die sound objects [Klangobjekte], sind das nicht alle eingesetzten Dinge, außer dem Tonband – weil sie alle, aufgrund ihres auch im Alltag beobachtbaren Objekt-Seins Klänge „enthalten“, die wir oft nur ignorieren, die aber hier erkundet werden, und die allemal ihrer Materialität, ihrem Volumen, ihrer Anordnung, also Plazierung entspringen?  Schließlich dem Zusammentreffen, ja Zusammenstoß, mit anderen „natürlichen Dingen“:  Begegnung, die reicht vom Zusammenprall  zwischen Holz und Metall, Metall und Metall, bis hin zum Gestreichelt-, Betastet-, Gekratzt-Werden eines Objekts von Fingern,  von einer Hand. Bewegungen entstehen so, Schwingungen in der Luft. Klänge. Töne. Noise. 

Die Tonband-Manipulationen, ihre genaue Art, auch den teils erfolgenden, teils nicht erfolgenden Einsatz eine Verstärkers, habe ich beim ersten Hören am wenigsten verstanden. Aber sie zu verstehen, war vielleicht gar nicht so notwendig. Es genügt, das Aufgreifen von Klang- oder Ton- oder Noise-Abfolgen, ihre verzögerte Wiederholung, die Überlagerungen, das Moment der Verfremdung, die komplex werdende Klangrealität, die komplex werdende Struktur zu bemerken. Oder einfach, diese doppelte Präsenz, von etwas, das an klassische chinesische, das Timbre der Instrumente privilegierende Musik erinnert; und von etwas anderem, das entfernt an die elektronische Musik eines Komponisten wie Earle Brown erinnert. Beides, ja beides habe ich gehört: sich überlagernd, sich durchdringend, das eine durch das andere hervortreibend, vorwärtstreibend.

So viele Worte, jetzt, eines Amateurs, eines, der diese, aber auch (überhaupt) Musik, Klänge, „Sound Art“ liebt. Amateur, das Wort kommt ja von „amare“, lieben. Aber jetzt genug der Worte. Man muß sie hören, diese Musik. Die Worte ersetzen sie nicht. 

Vielleicht, wovon man nicht reden kann, weil es sich dem sprachlichen Ausdruck entzieht, davon sollte man in der Tat besser schweigen. Wissend, daß ich das Schweigen gebrochen, den unmöglichen Versuch unternommen habe, etwas von der Wirklichkeit der Musik Timo Van Luijks in einem Text hervorscheinen zu lassen, kehre ich jetzt zum Schweigen zurück.
 

15. Sept. 2010

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